Kommen wir nun zur konkreten Bewertung der Innogy-Aktie.
Normalerweise bewerte ich ein Unternehmen stets anhand der künftigen Gewinne und Cashflows, die uns Aktionären zustehen. Im ersten Teil des Bewertungskapitels bewerte ich die Innogy-Aktie nach diesem üblichen Verfahren.
Im zweiten Teil gehe ich auf die zusätzlichen Chancen im Falle der erfolgreichen E.ON-Übernahme ein.
Fairer Innogy-Aktienkurs ohne die Übernahme durch E.ON
Bei einer langfristigen Investition erhalten wir Aktionäre neben den Dividenden auch Kursgewinne, die aus steigenden Unternehmensgewinnen resultieren.
Renditeparameter |
Rendite pro Jahr |
Dividendenrendite |
4,2% |
Gewinnwachstum |
2-5% |
Summe |
6,2-9,2% |
Die Dividendenrendite von Innogy liegt bei 4,2%. Wie bereits beschrieben, traue ich Innogy langfristig ein jährliches Gewinnwachstum von 2-5% zu. Wenn die Gewinne immer weiter steigen, muss irgendwann auch der Aktienkurs folgen. Bei einer sehr langfristigen Haltedauer sollten Investoren beim aktuellen Aktienkurs somit eine Gesamtrendite von 6,2-9,2% pro Jahr einfahren können.
Diese Renditeerwartung liegt unter der historischen Rendite des S&P 500 Index, der langfristig ca. 10% Rendite pro Jahr ermöglicht. Ist die Innogy-Aktie daher überbewertet?
Ich glaube nicht. Durch die stabilen Einnahmen aus den Energienetzen und den Erneuerbaren Energien sind die Risiken des Unternehmens sehr gering. Die Dividende ist sehr sicher. Gleicht fast einer Anleihe. Vergleicht man das Investment in Innogy mit der Rendite der Bundesanleihe von 0-1% pro Jahr, so erscheinen die 6-9% von Innogy plötzlich sehr attraktiv.
Klar, eine Dividende ist nie so sicher wie die Zinszahlung der Bundesrepublik Deutschland. Die Beteiligung an einem Unternehmen ist immer mit Risiken verbunden. Mehr dazu im dritten Kapitel dieser Analyse. Dennoch ist die Gewinnentwicklung dieses Unternehmens außerordentlich konstant.
Fazit: Bei einer langfristigen Investition können wir Investoren ohne die Übernahme durch E.ON mit einer Rendite von 6,2-9,2% rechnen. Angesichts der geringen Risiken eine faire Bewertung.
Zusätzliches Renditepotential aufgrund der Übernahme durch E.ON
Im März 2018 haben RWE und E.ON bekanntgegeben, dass E.ON das 76,8%-Aktienpaket an Innogy von RWE übernehmen will. E.ON möchte Innogy bei sich integrieren. Das Geschäft mit den Energienetzen und der Vertrieb soll bei E.ON eingegliedert werden. Das Geschäft mit Erneuerbaren Energien, sowohl von Innogy, als auch von E.ON soll im Gegenzug an RWE gehen. Außerdem wird RWE künftig 16,7% der E.ON-Aktien halten.
Ich habe damals einen ausführlichen Artikel mit allen Hintergründen über den Milliardenpoker in der Energiebranche geschrieben. Diesen kannst du dir hier nochmals durchlesen.
Was bedeutet die Transaktion für die Innogy-Aktionäre?
E.ON übernimmt auf einen Schlag 76,8% der Aktien von Innogy von RWE. Dadurch waren sie verpflichtet, den restlichen Innogy-Aktionären ein Übernahmeangebot zu machen. Dieses belief sich auf 36,80 EUR und zusätzlich rund 1,60 EUR Dividende in 2019. Der aktuelle Aktienkurs von 38 EUR ist somit unter dem Gesamtwert der Transaktion von 38,40 EUR.
Einige Aktionäre haben das Übernahmeangebot angenommen, sodass E.ON nun bereits Zugriff auf 86,2% der Innogy-Aktien hat.
Damit E.ON Kontrolle über Innogy ausüben darf, sind sie verpflichtet, einen sogenannten Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag (BuG) mit Innogy zu schließen. Dieser ermöglicht E.ON, künftig alle Gewinne von Innogy abführen zu dürfen. Außerdem darf E.ON Innogy dann beherrschen und die Unternehmen verschmelzen.
Um die verbliebenen Aktionäre von Innogy nicht zu benachteiligen, muss E.ON diesen vor dem Abschluss des BuG nochmals ein Übernahmeangebot machen. Die Höhe des Angebotes wird dabei von einem unabhängigen Wirtschaftsprüfer festgelegt. Neben einer Barabfindung bekommen die Aktionäre das Wahlrecht auf eine Garantiedividende.
Als Ausgleichszahlung ist mindestens die jährliche Zahlung des Betrags zuzusichern, der nach der bisherigen Ertragslage der Gesellschaft und ihren künftigen Ertragsaussichten voraussichtlich als durchschnittlicher Gewinnanteil auf die einzelne Aktie entfallen würde. Die Ausgleichszahlung wird von der übernehmenden Gesellschaft garantiert, sodass diese auch öfters als Garantiedividende bezeichnet wird. Sie ist so lange auszuzahlen, wie der BuG ungekündigt weiterläuft.
Betrachten wir an dieser Stelle die Gewinnentwicklung von Innogy, um ein Gefühl für die Garantiedividende zu bekommen. Zwischen 2016 und 2020 dürfte der Gewinn je Aktie bei ca. 2,00 und 2,30 EUR liegen. Folglich können wir mit einer Garantiedividende von mindestens dieser Höhe rechnen.
Höhe der Garantiedividende |
Dividendenrendite |
2,00 EUR |
5,3% |
2,10 EUR |
5,5% |
2,20 EUR |
5,8% |
2,30 EUR |
6,1% |
2,40 EUR |
6,3% |
2,50 EUR |
6,6% |
2,60 EUR |
6,8% |
Persönlich rechne ich mit einer Garantiedividende von rund 2,30 EUR pro Jahr. Dieser Wert liegt ein paar Prozent über dem Gewinn je Aktie von 2,20 EUR aus 2017. Die Wirtschaftsprüfer tendieren dazu, einen leichten Aufschlag auf den zuletzt erwirtschafteten Gewinn anzurechnen, um die Zukunftsaussichten des Unternehmens zu berücksichtigen.
Wir können als Innogy-Aktionäre also damit rechnen, dass wir im Falle des BuG nochmals ein (möglicherweise deutlich über dem heutigen Kurs liegendes) Übernahmeangebot bekommen und zusätzlich das Wahlrecht auf eine von E.ON garantierte Dividende von rund 6,1%.
Diese Perspektiven sollten den Aktienkurs in den nächsten Wochen und Monaten nachhaltig antreiben.
Ein BuG ist sehr komplex. Der Aufwand für E.ON ist in diesem Fall sehr hoch. Innogy würde weiter an der Börse notiert bleiben. Die Garantiedividenden würden E.ON viel Geld kosten. Daher ist auch noch ein anderes Szenario denkbar:
Ein deutlich höheres Übernahmeangebot von E.ON. Sobald E.ON mehr als 90% bzw. besser noch 95% der Innogy-Aktien hält, können die restlichen Innogy-Aktionäre zwangsweise rausgedrängt werden und werden ausgezahlt. Die Aktie würde von der Börse verschwinden. Dieses Szenario gefällt mir als Innogy-Aktionär noch besser.
E.ON müsste ein sehr attraktives Übernahmeangebot vorlegen, damit die restlichen Aktionäre ihre Aktien auch wirklich andienen werden. Ein Angebot im Bereich von 45-50 EUR dürfte durchaus drin sein. Vieles deutet auf dieses Szenario hin. Hedgefonds haben zuletzt massiv Innogy-Aktien gekauft und fordern vom E.ON Management ein entsprechend attraktives Angebot.
Sollte man dieses Angebot dann annehmen? Wahrscheinlich nicht.
In den allermeisten Fällen gilt, dass die letzte Aktie die teuerste ist. Es lohnt sich statistisch gesehen, Übernahmeangebote nicht anzunehmen und sich vom Hauptaktionär per Squeeze-out „hinausschmeißen“ zu lassen, da statistisch gesehen in der Mehrzahl der Fälle der Preis in jeder Stufe gegenüber der vorherigen Stufe steigt. Dies ist einerseits darauf zurückzuführen, dass das Angebot an Aktien umso geringer wird, je mehr Aktien der Hauptaktionär aufgekauft hat. Daher empfiehlt es sich meistens, bis zum Squeeze-out keine Aktien aus der Hand zu geben.
Ungefähr in zwei von drei Fällen werden auch die im Rahmen des Squeeze-outs gezahlten Preise noch einmal durch das Gericht nachgebessert. Dies kann besonders attraktiv sein, da einerseits die Nachbesserung bis zum Tag der Nachzahlung verzinst werden muss, und andererseits das investierte Kapital bereits frühzeitig, nämlich mit Eintragung des Squeeze-outs wieder für Investitionen zur Verfügung steht.
Und was passiert mit der Innogy-Aktie, wenn die Übernahme durch E.ON von den Behörden nicht genehmigt wird?
Die Wahrscheinlichkeit dafür ist sehr gering. Der Deal sollte genehmigt werden. In der E.ON-Analyse bin ich auf die Gründe eingegangen.
Wenn der Deal trotzdem nicht genehmigt werden sollte, wird die Aktie am Tag der Bekanntgabe wohl 10-15% fallen. Wir haben den Wert ohne Übernahme eben ermittelt. Der Aktienkurs von Innogy sollte sich aufgrund der Qualitäten des Geschäftsmodells schnell wieder erholen.
Fazit: Die Chancen auf eine Übernahme durch E.ON stehen sehr gut. Kommt es zum BuG, winkt eine sehr attraktive Garantiedividende von über 6%. Der Aktienkurs dürfte infolgedessen weiter anziehen. Überrascht E.ON die Innogy-Aktionäre mit einem weiteren, höheren Übernahmeangebot, dürfte der Kurs in Richtung 50 EUR gehen. Mit dem Squeeze-Out ist langfristig unter Umständen sogar noch mehr drin, obwohl das Kapital schon wieder zur Verfügung steht. Bis dahin spricht die Dividendenrendite von 4,2% für sich.